Videsott Paul Padania scrittologica. Ana

  2015 · BAND 131 · HEFT 4 ZEITSCHRIFT

FÜR ROMANISCHE

PHILOLOGIE

  BEGRÜNDET VON Gustav Gröber HERAUSGEBER Claudia Polzin-Haumann Wolfgang Schweickard REDAKTION Christian Schweizer

  Roland BAUER Rezension zu: Paul Videsott,

  Padania scrittologica,

  ZrP 2015; 131(4): 1119–1127

  Paul Videsott, Padania scrittologica. Analisi scrittologiche e scrittometriche di testi in italiano settentrionale antico dalle origini al 1525 (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie, 343), Tübingen, Niemeyer, 2009, XVII   + 624   p. Der vorliegende Band geht auf die im Jahr 2003 an der Leopold-Franzens-Uni- versität Innsbruck eingereichte Habilitationsschrift des Autors zurück. Dieser ist kurz darauf (2006) an die Freie Universität Bozen gewechselt, wo er seither an der Fakultät für Bildungswissenschaften (Abteilung Ladinistik, Brixen) für die uni- versitäre Ausbildung ladinischer Grundschullehrer/innen und Kindergärtner/in- 1 1 nen zuständig ist.

  

Cf. dazu den Bericht zum 10jährigen Bestehen der Ladinischen Abteilung der Freien Universität

Bozen unter <http://www.unibz.it/de/education/events/eventsoverview.html?NewsID=65062>

  Dem Vorspann der auf Deutsch verfassten Erstversion (Videsott 2003) ist zu entnehmen, dass diese gleichsam als Pilotstudie verstanden wird, die erst im Rahmen der Drucklegung v.

  a. durch eine Erweiterung des Untersuchungsgegen- standes maßgeblich ausgebaut bzw. vervollständigt werden soll. Das Corpus belief sich ursprünglich auf 893 analysierte altnorditalienische Texte, in der nun 2 vorliegenden Version wurden 1.165   Dokumente (mit insgesamt 558.892   Wörtern) berücksichtigt. In einer tabellarischen Übersicht [64 –227] werden fast doppelt so viele, nämlich insgesamt 2.064 Dokumente aufgelistet, die ausgehend vom Ende des 12.   Jahrhunderts (Dichiarazione di Paxia, 1182) bis zur Veröffentlichung von Pietro Bembos Prose della volgar lingua (1525) reichen und die somit die Periode des Altitalienischen abdecken. Die ursprüngliche Idee, auch einen Vergleich mit moderneren Skriptae, i.e. mit nach 1525 entstandenen Texten durchzuführen, wurde offensichtlich wieder fallen gelassen. Der Überhang an zwar chronologisch aufgelisteten, aber nicht weiter analysierten Dokumenten (43%) wurde von mir als indirekter Hinweis darauf gelesen, dass es sich bei der vorliegenden Arbeit nach wie vor um Work in progress handle. Ein Blick in ein aktuelles CV des Vf. zeigt allerdings, dass der gegenständliche Untersuchungsgegenstand, also die weitere Bearbeitung des so genannten Corpus Scriptologicum Padanum (abge- kürzt CorPS und nicht etwa CorSP) mittlerweile vom Autor selbst als abgeschlos- 3 sen betrachtet wird. So gesehen ist der Nutzen dieser immerhin gut 160 Druck- seiten einnehmenden Dokumentation (i.e. der Tabelle zum gesamten CorPS) für die vorliegende Arbeit post festum mit einem kleinen Fragezeichen zu versehen. Für die Leser wäre es u. U. dienlicher gewesen, anstelle der Eckdaten der vielen, in diesem Kontext später nicht berücksichtigten Texte exemplarisch einzelne Schriftdokumente (z.

  B. je eines pro Skripta-Zentrum) bzw. Ausschnitte daraus samt innerlinguistischem Kommentar zu den graphischen Besonderheiten ab- zudrucken.

  Was die Strukturierung des Bandes betrifft, so ist abgesehen von Tabellen und Auflistungen sowie von Bibliographie, Indizes und Illustrationen, die gut 2 zwei Drittel des Gesamtumfangs ausmachen, von einem knapp 200 Seiten starken

  

Zur Wortsegmentierung und zur händischen Zählung der Worteinheiten wurde auf die in den

jeweiligen Editionen aufscheinenden Leerzeichen zwischen zwei Einträgen zurückgegriffen. Ab-

kürzungen wurden dabei mitgezählt. Zur prinzipiellen Problematik der Ermittlung von Wort-

grenzen in historischen Dokumenten und zu weiterführenden Lösungsansätzen, die nicht nur mit

3 Lücken zwischen Textobjekten operieren, cf. Feldbach (2006).

  

CV des Vf. vom Januar 2014: <www.unibz.it/en/organisation/viewstaffpdf.customhandler?per-

sonid=24> [zuletzt eingesehen am 11.11.2014]. Die schon in Videsott 2005 propagierte Veröffent-

lichung des kompletten bibliographischen Registers aller Texte des CorPS ist heute nicht mehr im

Internet auffindbar. Ebenfalls nicht realisiert scheint die vor rund 10 Jahren «für die nahe Textteil auszugehen, der sich im Wesentlichen in drei Hauptabschnitte gliedert, nämlich 1.   «Introduzione» [7

  • –63], –406] 2.   «Analisi scrittologiche» [269 und

  3. «Analisi scrittometriche» [407 –418].

  Im Einleitungskapitel wird zunächst das zentrale Ziel dieser v. 4

  a. skriptolo- gisch (und nur in geringerem Maße skriptometrisch) ausgerichteten Arbeit darge- legt, i.e. das Nachzeichnen der Entwicklung der nicht literarischen, volkssprach- lichen Schriftsprache Norditaliens anhand handschriftlich überlieferter Texte von den Anfängen bis in die erste Hälfte des 16.   Jahrhunderts. Dabei geht Vf. von der Hypothese (bzw. von dem «presupposto classificatore elementare» [7]) aus, dass die norditalienische Sprach- bzw. Dialektlandschaft in phonetischer Hinsicht schrittweise toskanisiert und somit letztendlich von einem galloromanischen in einen italoromanischen Sprachtyp übergeführt wurde, wobei den mittelalterli- chen Graphietraditionen in diesem Zusammenhang eine mitentscheidende Rolle zugestanden wird. Die Zentralfrage der Inkommensuralität von dialektaler Lau- tung und deren Verschriftung ist Vf. dabei bewusst, die Problematik der Plausibi- 5 lität daraus ableitbarer Schlussfolgerungen bleibt jedoch weiter bestehen. Datenseitig sollte sich die Studie bzw. die dabei erstellte Datenmatrix auf 36 6 oberitalienische bzw. dialektal dem «italiano settentrionale» zuzuordnende, so 7 genannte «Schreibzentren» stützen (cf. infra). Dazu zählen 31 italienische Städte sowie fünf extraterritoriale, u.

  a. auf genuesische und venezianische Kolonien bzw. Enklaven zurückgehende Vergleichspunkte, nämlich 3   Caffa/Kafa (Halb- insel Krim), 5   Monaco, 18   Bellinzona (Tessin), 30   Zara (Kroatien) und 31   Aleppo (Syrien). Die Einbeziehung letzterer (zu deren Auswahlkriterien der Leser leider nicht viel erfährt) sollte in einer (schon 2003 und hier erneut angekündigten) Ausbauphase des Projekts die vergleichende Untersuchung der so genannten «lingue coloniali» ermöglichen [23]. Sechs Messpunkte wurden mangels ausrei- chender Daten entweder post festum wieder ausgeschieden (so Punkt  

  8 Alessan- 4 dria) oder aber anhand zu geringer Dokumentation nur mit entsprechendem 5 Der Terminus scriptométrie geht übrigens bereits auf Gossen (1979, 276) zurück.

  

Cf. dazu (mit Bezug auf die Herausbildung des Standardfranzösischen sowie mit vergleichen-

6 dem Blick auf das Standarddeutsche) Grübl (2013, hier: 375).

  

Vf. beruft sich dabei auf die Einteilung von Tagliavini (1972, 396 [1998, 319]), der zufolge das

Galloitalienische (verstanden als Piemontesisch, Lombardisch, Ligurisch und Emiliano-Roma-

7 gnolisch), das Venedische und das Istrische in die norditalienische Dialektgruppe fallen.

  

2 Genua, 4 Savona, 6 Turin, 7 Vercelli, 8 Alessandria, 9 Novara, 10 Lodi, 11 Mailand, 12   Berga-

mo, 13   Brescia, 14   Cremona, 15   Sondrio, 16   Mantua, 17   Pavia, 19   Trient, 20   Piacenza, 21   Parma,

  

22   Reggio Emilia, 23   Modena, 24   Bologna, 25   Ferrara, 26   Imola, 27   Ravenna, 28   Rimini, 29   Vene-

dig, 32   Padua, 33   Vicenza, 34   Treviso, 35   Belluno, 36   Verona, 37   Udine (eigentlich im Wider-

8 Vorbehalt im Corpus belassen, so dass von den ursprünglich 36 angepeilten Datensätzen eigentlich nur 30 zählbar bleiben.

  Zu jedem dieser «Schreibzentren» stehen 320 sprachliche (graphische) Eigen- schaften auf dem skriptologischen Prüfstand. 29% davon betreffen den Vokalis- mus, 40% den Konsonantismus, 30% die Morphologie, Syntax und Lexikon finden kaum Berücksichtigung. Alle Merkmale werden, beginnend mit dem pho-

  B.

  Á Á SÁCRA SÁCRA netisch relevanten Kriterium   1 (lat.

  → [+ → <e> vs. toskanisch <a>, wie z. Udine segra vs. tosk. sagra) bis hin zu Kriterium   320 (Verwendung des etymolo- gisch-onomasiologischen Typs SÓROR SÓROR , «sorella», z.

  B.   Zara sor), in extenso tabella- risch aufgelistet [28

  • –48]. In den Zellen der Datenmatrix selbst ist als Merkmalsausprägung die absolute

  Häufigkeit des jeweils gewählten Kriteriums anhand der 1.165 untersuchten Do- kumente vermerkt. Diese (im Prinzip nicht literarischen Texte) stammen allesamt aus gedruckten Editionen (elektronische Corpora wurden nicht berücksichtigt) und liegen dem Vf. in Form von Fotokopien vor. Sie gehören zwar 11 verschiede- nen Textsorten an, der Löwenanteil bezieht sich jedoch auf allgemeine Dokumen- te und Akten (46%), Briefe (20%), juridische Dokumente (18%) und Statuten (10%). In 4% der Fälle wurden jedoch auch halb- bzw. para-literarische sowie extrem kurze «Texte» (mit teilweise sogar weniger als 10 Wörtern) in das Corpus aufgenommen, um bei einzelnen Städten drohende Datendefizite auszugleichen. Durch die oben genannten Abweichungen von den ursprünglich angedachten Auswahlkriterien ergibt sich ein mitunter starkes Ungleichgewicht, was die Re- 9 präsentation der jeweiligen Skripta-Zentren im Corpus betrifft. So gibt es einer- 8 seits für Städte, zu denen sehr bzw. zu viele Dokumente vorlagen (wie z.

  B.   Genua

  

Es handelt sich um die Orte 7, 15, 21, 22 und 27, zu denen Vf. festhält: «un corpus più ampio

potrebbe significativamente modificare i risultati ottenuti» [24s.]. Kurioserweise waren in der

Erstversion bei geringfügig weniger analysierten Dokumenten nur vier Messpunkte auf Grund von

Datenlücken und/oder unzureichender Datenmenge als unberücksichtigt vermerkt gewesen.

Dabei war auch angekündigt worden, diese Lücken durch die «Verwendung nicht edierter Texte»

(Videsott 2003, 14) in einem nächsten Arbeitsschritt schließen zu wollen. Diese nicht edierten

Texte lägen mittlerweile zwar z.

  B. für 8   Alessandria vor, Vf. hat sich aber auch hier offensichtlich

von der ursprünglichen Idee verabschiedet und stützt sich nach wie vor ausschließlich auf

«documenti già editi» [24]. So gesehen bleiben zwei Fragen offen: Wie erklärt sich trotz einer

Erweiterung des Corpus die 50%ige Zunahme der ungenügend dokumentierten Schreibzentren

(von vier auf sechs)? Warum wurden die offensichtlich unzuverlässigen Datensätze nicht tout

court aus dem Corpus eliminiert und somit auch aus den vielen, im Anhang abgedruckten Karten

getilgt, in denen sie zumeist lediglich als weiße Flecken ohne jegliche bzw. als eingefärbte

9 Polygone ohne verlässliche Aussagekraft aufscheinen?

Das tatsächlich berücksichtigte Corpus (1.165 Dokumente) wird in der Arbeit mit CorPS DEF

bezeichnet, während CorPS allgemein für die aus 2.065 Texten bestehende, größere Textsamm-

  10

  oder Mailand), laut Vf. ein maximales Limit von 27.500 Wörtern, manche Zen- tren wie etwa Bergamo, Udine, Zara oder Padua weisen jedoch z. T. deutlich mehr Einträge im Corpus auf. Venedig schließlich kommt auf über 42.000 Wörter, während etwa Sondrio nur mit einem einzigen Dokument mit 65 Wörtern in der Untersuchung vertreten ist. Das Missverhältnis liegt also im Extremfall bei rund 1   :   650, anders ausgedrückt beeinflusst die venezianische Skripta das Gesamt- ergebnis zu 7,5% und jene Paduas macht sich mit 6,9% bemerkbar, wohingegen Sondrio nur zu 0,01%, Parma zu 0,04% oder Reggio zu 0,12% dazu beiträgt! Eine eigene Tabelle gibt [238] darüber Auskunft, in welchen der fünf vom Vf. 11 vorgegebenen Zeitabschnitte die analysierten Texte fallen. Hier zeigt sich die

  älteste Periode (4%) deutlich unter- und die jüngste Periode (41%) stark über- repräsentiert. Wie man einer Karte [459] entnehmen kann, stehen zu einigen «Schreibzentren» überhaupt keine Dokumente aus der Zeit vor 1450 zur Ver- fügung. Laut einer chronologischen Rangfolge stammen die ältesten Texte domi- nant aus dem Veneto und aus Ligurien. Weitere Tabellen [240 –267] informieren über die Zuordnung der Dokumente zu den Städten, zu den Textsorten und anteilig zu den fünf o.   a. Perioden. Die skriptologisch ausgerichteten Analysen werden im zweiten Hauptkapitel

  [269 –406] vorgestellt. In methodischer Hinsicht stützt sich Vf. dabei hauptsäch- lich auf zwei Kennwerte, die bereits aus den frühen Skripta-Arbeiten von Hans Goebl (z.

  B. 1975) bekannt sind. Dies sind einerseits der Wert Frel, der sich auf die relative Frequenz der analysierten Kriterien in der Datenmatrix bezieht, und andererseits der Wert Dabs, der für die Differenz zwischen dem absoluten und dem gemäß Gesamtvorkommen theoretisch erwartbaren Auftreten steht. Frel basiert auf einer einfachen Formel und errechnet sich im Grunde mittels Division der Okkurrenzen eines Merkmals durch die Anzahl der analysierten Wörter. Kommt ein Merkmal z.

  B. fünfzigmal in 2.000 Wörtern vor, so ergibt dies einen 12 relativen Frequenzwert von 2.500 bzw. von 2,5%. Für die gesamte Untersuchung ergibt sich bezogen auf das 558.892 Wörter umfassende Corpus eine relative Präsenz der berücksichtigten Merkmale im Bereich von 30%, d.

  h. immerhin knapp jedes dritte Wort im Corpus weist eines der 320 vorgegebenen, für den oberitalienischen Skriptatypus als konstitutiv erachteten Kriterien auf. Die auf den beiden genannten Kennwerten basierenden Einzelergebnisse werden meist

  10 Je 5.000 für die Perioden I –IV, 7.500 Wörter für Periode V [239]. Zur Aufteilung der Perioden 11 cf. FN   11.

  Periode I = vor 1300, II = 1301 –1350, III = 1351–1400, IV = 1401–1450, V = 1451–1525. in Form färbiger Polygonkarten präsentiert, wie sie auch aus dialektometrischen 13 Anwendungen bekannt sind.

  Den Auftakt machen Kartenserien (und begleitende Tabellen), die u.

  a. die kontinuierliche Abnahme der Frel-Werte über die Zeit (von 38% in Periode   I auf knapp 23% in Periode   V), i.e. die zunehmende Aufgabe eigener Merkmale und die Annäherung der oberitalienischen Skripta an den Standard aufzeigen. Die höchs- ten Frel-Werte treten im Schnitt in den friaulischen, venedischen und piemontesi- schen Punkten auf, während etwa die lombardische oder die ligurische Skripta den Innovationen tendenziell «freundlicher» gegenüberzustehen schien und dementsprechend mehr Parallelen zum Toskanischen aufweist. Die Tatsache wiederum, dass in vielen Zentren die Frel-Werte erst sehr spät (Periode   V) unter den Durchschnitt fallen, wird dahingehend gelesen, dass nach 1450 eine beson- ders starke «spinta toscanizzatrice» [283] wirksam geworden sei. Abweichungen von den o.  

  a. Generaltendenzen werden durchwegs corpusbedingt erklärt, wobei hier auch die Berücksichtigung von Kopien aus dem 16., 17. oder 18.   Jahrhundert eine entscheidende Rolle zu spielen scheint. So stützt sich beispielsweise fast das halbe Subcorpus zu Bergamo auf eine Abschrift der Statuti di Averrara (1313) aus dem Jahr 1720.

  Um einzelne Graphien bzw. graphische Besonderheiten innerhalb des skrip- tologischen Diasystems lokalisieren zu können, stellt Vf. 30 der 320 untersuchten Kriterien im Rahmen der skriptologischen Besprechung von acht Merkmalsgrup- pen näher vor (und verweist bezüglich der Detailanalyse weiterer Merkmale auch hier auf einen «momento successivo» [290]). Das Auftreten der einzelnen graphi- schen Besonderheiten wird einerseits der Wirkung des jeweiligen dialektalen Substrats zugeschrieben (so v.

  a. bei hohen Frel-Werten), andererseits aber auch auf eine etymologisierende bzw. latinisierende Graphie zurückgeführt. Die relati- ve Verteilung einzelner Merkmalsausprägungen im Untersuchungsraum wird 14 jeweils anhand einer Reihe von Tabellen und vieler Polygonkarten illustriert. So

  ÁRIU ÁRIU

  erschließt sich etwa, dass die Graphie <er(o)> aus lat. bei einer absoluten Frequenz von 829 Okkurrenzen (Gesamt-Frel = 148) erstens über den gesamten Beobachtungszeitraum vertreten ist und dabei zweitens v. 13 a. in der piemontesi-

  Die entsprechenden Kartenvorlagen wurden im Übrigen in der an der Universität Salzburg

beheimateten Dialektometrie-Werkstatt von Slawomir Sobota erstellt und Vf. zur Verfügung

gestellt. Gleiches gilt für die Einspeisung und Weiterverarbeitung der Daten im Programmpaket

14 Visual DialectoMetry, VDM (cf. dazu Bauer 2009, 201–205).

  Manchmal wird dabei m.

  E. etwas über das Ziel geschossen, nämlich dort, wo in den Karten

keine oder nur ein bis zwei der 36   Messpunkte eingefärbt sind, wo also die Karte als solche

heuristisch nicht aussagekräftiger ist als ein Kurzkommentar in einer Fußnote. Dies gilt etwa für

  15

  schen, lombardischen und venedischen Skripta vorkommt, während <er(o)> etwa in der Emilia überhaupt nicht in Erscheinung tritt. Dort zeigt sich stattdessen verstärkt <ar(o)> (Karte   7 [467]). Sehr informativ sind in diesem Zusammenhang die zu jeder Merkmalsausprägung passend präsentierten Ausschnitte aus den analysierten Dokumenten! Die Besprechung jeder Merkmalsgruppe wird von einem kurzen Fazit abgeschlossen, in dem die wichtigsten Aspekte der diachro- nen und der diatopischen Verteilung der aufgetretenen Ausprägungen zusam- mengestellt sind. Bezogen auf das o.   a. Beispiel wären dies: hohe Frequenz und komplementäre Verteilung der hier als konstitutiv für die oberitalienische Skripta angesehenen Graphien <er(o)> und <ar(o)> vs. Marginalität des Typs <air>.

  Die (in dieser Arbeit eigentlich nur kurz angedeutete) skriptometrische Untersuchung [407 –418] bedient sich der Methoden der numerischen Taxono- mie, wie dies im Rahmen der Dialektometrie bei der Verrechnung basilektaler Daten der Fall ist. Ausgangspunkt ist beide Male die Datenmatrix, die mittels Ähnlichkeitsmessung (hier anhand der Manhattan-Metrik, DMM) in eine Ähn- lichkeitsmatrix verwandelt wird, welche ihrerseits die Basis für die Generierung von Ähnlichkeitsprofilen und anderen visualistischen Heuristika darstellt. Der Vf. diskutiert exemplarisch drei (von 35   möglichen) Ähnlichkeitskarten, so u.

  a. eine zu Punkt  

  2 Genua. Hier zeigt sich im Bereich des höchsten Ähnlichkeits- intervalls eine bezüglich ihrer Kompaktheit und Plausibilität sehr «schöne» Klassenbildung des ligurischen Sprach- bzw. Skriptaraums, in den abgesehen von Savona auch die ehemaligen genuesischen Kolonien Monaco und Kafa (Teile der mittelalterlichen Seerepublik Genua) fallen. Am anderen Pol der Wer- teskala, also dort, wo die aus Sicht der genuesischen Skripta unähnlichsten «Schreibzentren» liegen, finden sich mit dem Nordostausschnitt des Unter- suchungsraums jene ostlombardisch-trentinisch-venedischen Gebiete, die auch räumlich am weitesten vom Prüfbezugspunkt Genua entfernt sind. In einer Zwischenpunktkarte treten die markantesten Abschottungen («Isoglossenbün- del») zwischen Friaul (Udine) und dem Veneto sowie zwischen Piemont und der Lombardei auf, während die clusteranalytische Auswertung (aus der vier Punkte wegen des geringen Anteils am Corpus ausgeklammert wurden) zunächst eine Zweiteilung in eine westliche und eine östliche Skripta-Klasse ausweist. In weiterer Folge «emanzipieren» sich die Skriptazentren im Bereich von bzw. um Mailand und Venedig.

  Die wichtigsten Ergebnisse (u.

  a. später Toskanisierungsschub; Mailand und Venedig besonders, Turin und Udine hingegen wenig innovationsfreudig) finden sich in einem Schlusswort [419

  • –422] synoptisch zusammengestellt, das der Biblio-
  • graphie [423 –454] vorangeht, in der die verwendeten Editionen und die bis 2006 erschienene Fachliteratur verzeichnet sind. Der Anhang [455
    • –624] besteht zum überwiegenden Teil   aus den bereits mehrfach erwähnten 159 skriptologischen und skriptometrischen Polygonkarten.

      Bis auf ganz wenige Ungereimtheiten (z.

      B.   Zählfehler p.   48 unten: 95 [nicht 85] morphologische Merkmale; p.   602 fehlt gänzlich?) ist der Band sehr sauber redigiert. Auch der Forschungsansatz und die (zweifellos sehr zeitaufwändige) Durchführung der Untersuchung nötigen Respekt ab, genauso wie außer Frage steht, dass die Arbeit eine (im Gegensatz zur galloromanischen Forschung) in der italianistischen Skripta-Szene bislang klaffende Lücke maßgeblich zu ver- kleinern, wenn schon nicht ganz zu schließen imstande ist. Das insgesamt sehr positive Bild wird hauptsächlich durch zwei Umstände getrübt, nämlich einer- seits durch die bereits oben mehrfach angesprochene, z. T. sehr problematische Komposition des Corpus bzw. durch die nicht konsequente Umsetzung der eigenen Vorgaben. Diese wird zwar oft mit einem Verweis auf zukünftige Arbei- ten entschuldigt, ein Gutteil dieser Ankündigungen hält freilich selbst ein Jahr- zehnt später einer Verifizierung nicht stand. Insofern bleibt der an der ober- italienischen Skriptaforschung interessierten Comunitas zu wünschen   16 – und ich tue dies bewusst im Gleichklang mit anderen Rezensenten,  

    • – dass das Projekt CorPS nicht gänzlich ad acta gelegt sei, und die in Aussicht gestellten «Repara- turen» und ausgleichenden Ergänzungen doch noch zeitnah umgesetzt werden können.

      Bibliographie

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