Religion in Brunei Darussalam. pdf

Published in:
Porsche-Ludwig, Markus & Jürgen Bellers (eds.). Handbuch der Religionen der Welt.
Nordhausen: Beutz Verlag, 2012.

Religion in Brunei Darussalam
Frank Fanselow
1. Religion und deren Geschichte
Der Islam ist die Staatsreligion von Brunei Darussalam, aber die bruneische Gesellschaft und
Kultur sind multi-religiös. Unter der Bevölkerung von nur 400.000 Menschen befinden sich
neben Muslimen auch Buddhisten, Taoisten, Animisten, Christen, sowie in geringeren Zahlen
auch Hindus und Bahais. Nicht nur ist die religiöse Demographie des Landes komplex, sondern
in den Glauben und Praktiken der verschiedenen Religionsgemeinschaften vermischen sich
einerseits islamische mit indischen, persischen, arabischen und animistischen Elementen,
sowie andererseits buddhistische, taoistische und animistische Elemente.
Diese religiöse Vielfältigkeit ist das Resultat historischer Beziehungen mit Zivilisationen und
Religionen außerhalb Borneos, die bis in das 7. Jahrhundert zurückreichen. Obwohl Borneo
(die portugiesische Korruption des Namens Brunei) nie selbst Zentrum einer großen
Zivilsation war, entwickelte es sich in ein wichtiges Entrepôt entlang der Handelsrouten
zwischen den Zivilisationen im Westen (Indien, Arabien, Europa) und China, die alle ihre
Spuren auf der Insel hinterließen und sich mit einheimischen animistischen Elementen
verschmolzen haben.

Brunei war ursprünglich ein hinduistisch-buddhistischer Staat und auch heute sind viele
Elemente dieser Religionskultur, insbesondere in den königlichen Hofritualen und in den
Lebenszyklusriten der Malayen, erkennbar, obwohl diese gegenwärtig allgemein als Teil der
brunei-malayischen Kultur verstanden werden und von Elementen, die mit dem Islam als
unvereinbar gelten, gesäubert wurden. Anders als in Malaysien, gibt es in Brunei bisher keine
islamistischen Bestrebungen, die brunei-malayische Kultur völlig von hinduistischen und
animistischen Elementen zu säubern und sie zu arabisieren.
Wann und durch wen der Islam nach Brunei kam, ist heutzutage eine bei Historikern
umstrittene und sehr politisierte Frage, die letztlich auf Grund mangelnder historischer Daten
nicht beantwortbar ist. Der nationalistischen Geschichtsschreibung zufolge kam der Islam
sehr früh direkt aus Arabien nach Brunei. Dabei wird Brunei im Osten des indonesischen
Archipels eine ähnliche Schlüsselrolle als Zentrum der Islamierung zugeschrieben wie Aceh
im Westen. Demzufolge soll der erste Sultan bereits 1363 unter Einfluss arabischer Missionare

konvertiert sein und somit die Basis für das erste islamische Sultanat in der Region geschaffen
haben. Geschichtschreibung zufolge, die sich auf europäische Quellen begründet, datiert die
Islamisierung dagegen erst einige Jahre nach dem Fall Malakkas in 1511, und sieht sie als
Folge nicht nur arabischer, sondern auch javanesischer und indischer Einflüsse sowie
eventuell auch durch südchinesische Muslime. Unbestreitbar sind Kontakte mit muslimischen
Händlern und Missionaren seit mindestens dem 13. Jahrhundert, aber wann genau Brunei ein

islamisches Sultanat wurde, lässt sich mit Sicherheit nicht bestimmen. Sicher ist, dass der
Islam nicht durch massive Einwanderung von Muslimen, sondern durch Konvertierung
einheimischer animistischer Gruppen in Borneo Wurzeln schlug.
Das vorkoloniale Sultanat war kein auf die Kontrolle von Land und Menschen bedachter
Agrarstaat, sondern ein maritimer Handelsstaat, dessen Macht und Reichtum auf der Kontrolle
von Wasserwegen und Handelsrouten und der damit verbundenen Monopolisierung von
Kontakten mit Handels- und Zivilisationszentren außerhalb der Insel beruhte. Wie vorher der
Hinduismus, vernetzte der Islam die politisch-wirtschaftliche Elite um den Hof im
internationalen Indischen Ozeanhandel, aber der Islam war nicht die Religion der Mehrheit
der Untertanen im Inneren der Insel, über die der Staat nur symbolische Kontrolle ausübte
und die lange Animisten blieben und es zum Teil auch heute noch sind.
Seit der Unabhängigkeit im Jahre 1984 spielt der Islam eine zentrale ideologische Rolle in der
Identität und Legitimierung des Sultanats als ein moderner Nationalstaat. Im Gegensatz zum
Iran oder zu Saudi Arabien ist Brunei bisher aber kein islamischer Staat, da das islamische
Recht (Schar’ia) nicht die einzige Quelle der Gesetzgebung ist, sondern bisher nur für
Familien- und Religionsgesetze in Bezug auf Muslime gilt; in allen anderen juristischen Bereichen

gilt

das (durch


Dekrete modifizierte)

britische Kolonialrecht.

Dieses duale

Rechtssystem hat seit der Unabhängigkeit zu einem wachsenden Widerspruch zwischen den
islamischen Legitimationsansprüchen des Staates und den komplexen gesellschaftlichen und
kulturellen Realitäten geführt, der zu verstärkten Rufen nach einer weiteren Islamisierung
geführt hat. Im Oktober 2011 gab der Sultan eine Islamisierung des gesamten Rechtssystems
bekannt, die aber das Zivilrecht nicht völlig verdrängen soll, sondern in einer bisher nicht
weiter definierten ‘Fusion’ beider Rechtssysteme enden soll.
Die Intensivierung einer islamisch-malayischen Nationalkultur bringt für einheimische
animistische Minderheiten verstärkten Druck, zum Islam zu konvertieren, mit sich. Heute sind
zwei Drittel der Bevölkerung Muslime, wobei einige der einheimischen Gruppen mittlerweile
vollständig islamisiert sind (Kedayan, Tutong, Belait) und andere bisher nur teilweise (Dusun).
Andere einheimische Minderheiten sind teilweise zum Christentum übergetreten (Murut und
Bisaya),


da

diese

Gruppen

in

den

Grenzgebieten

des

Landes

Ausläufer

größerer


Bevölkerungskonzentrationen im nachbarlichen Sarawak sind, wo sie während der Kolonialzeit
von evangelischen Missionaren bekehrt wurden. Außerdem sind Teile der lokalen chinesischen
Bevölkerung Christen, aber die Mehrheit der Christen in Brunei sind Migranten, vorwiegend

von den Philippinen. Eine kleine Zahl der einheimischen Animisten im Westen des Landes
wurde Mitte des letzten Jahrhunderts von Migranten aus dem Iran, die damals in der
Erdölindustrie arbeiteten, zum Bahaismus bekehrt.
Obwohl

die

brunei-malayische

Kultur

seit

Jahrhunderten

stark


von

hinduistisch-

buddhistischen Elementen geprägt ist, sind die heute in Brunei lebenden Buddhisten und
Hindus ausnahmslos Einwanderer der letzten hundert Jahre, die nichts mit den hinduistischen
und buddhistischen Wurzeln des Sultanates zu tun haben. Nachdem Brunei seine Stellung als
Handelsentrepot im südchinesischen Meer verloren hatte, verließen chinesische und indische
Händler die Insel oder wurden mit der einheimischen Bevölkerung assimiliert. Erst zu Beginn
des 20. Jahrhunderts – besonders nach der Entdeckung des Erdöls in 1929 – begann eine
neue Einwanderungswelle. Der erste chinesische Tempel in Brunei wurde 1918 gebaut. Heute
gibt es in Brunei drei chinesische Tempel, in denen sich buddhistische und taoistische
Elemente in die sogenannte „Chinese Religion“ vermischen. Hindus in Brunei sind vorwiegend
Migranten aus Indien, die im Lande vorübergehend arbeiten, sowie mehrere tausend
nepalesische Gurkha Soldaten, in deren Kasernen sich auch die beiden einzigen hinduistischen
Tempel des Landes befinden.
2. Statistiken und Organisationen
Die Bevölkerung von gegenwärtig 400.000 ist multi-ethnisch und setzt sich aus Malayen,
Chinesen und einheimischen Minoritäten zusammen und schließt auch etwa 100.000

Migranten ein, die hauptsächlich aus Indonesien, Malaysien, den Philippinen, Thailand,
Bangladesch und Indien kommen. Zwei Drittel der Bevölkerung (67%) sind Muslime,
vorwiegend einheimische Malayen, aber eine große Anzahl der Migranten kommt aus
muslimischen Ländern, insbesondere aus Indonesien, Malaysien und Bangladesch.
Die größte nicht-muslimische Gruppe sind die Buddhisten (14%), wobei sich unter ihnen die
Buddhisten (9%), Taoisten und Anhänger der sogenannten chinesischen Religion (5%) nicht
genau auseinander halten lassen. Es handelt sich dabei fast ausschließlich um ethnische
Chinesen, sowohl einheimische wie auch solche aus Malaysien und anderen Ländern
Südostasiens. Da der Buddhismus im Lande stark von der chinesischen Religion geprägt ist,
nehmen Buddhisten aus anderen Ländern (etwa thailändische Migranten) nicht an deren
Tempelritualen teil.
Etwa 12% der Bevölkerung sind Christen, die vorwiegend katholisch sind. Abgesehen von
kleineren Teilen einheimischer Gruppen und den 15% der Chinesen, die Christen sind, handelt
es sich hier hauptsächlich um Migranten, vorwiegend von den Philippinen.
Die Zahl einheimischer Animisten beträgt etwa 5% der Bevölkerung, sie lässt sich aber nur
schwer genau bestimmen, weil der Animismus offiziell nicht als Religion (ugama), sondern

nur als Glauben (kepercayaan) angesehen wird, und dessen Anhänger deshalb oft offiziell als
religionslos oder als Freidenker klassifiziert werden.
Der Sultan ist sowohl Staats- als auch Religionsoberhaupt. Ihm steht der Islamische

Religionsrat (Majlis Ugama Islam Brunei) zur Beratung in religiösen Angelegenheiten bei. Da
es keine Trennung zwischen Staat und Religion gibt, unterliegen alle religiösen Aktivitäten
einer strengen Kontrolle des Staates, dem für diesen Zweck eine umfangreiche Bürokratie zur
Religionsverwaltung zur Verfügung steht. Zu den umfangreichen Aufgaben des Ministerums
für Religiöse Angelegenheiten gehört die Ausbildung von Religionsgelehrten (ulama) zur
Rekrutierung in der Religionsbürokratie und von Religionslehrern (guru ugama) für die
Religionserziehung, die in allen staatlichen Schulen Pflicht ist. Die Ulama werden seit Beginn
der 1960er Jahre an der al-Azhar Universität in Kairo ausgebildet und seit 2007 auch an einer
neu gegründeten islamischen Universität in Brunei (Universiti Islam Sultan Sharif Ali). Die
Ausbildung von Religionslehrern findet vorwiegend am ebenfalls neu gegründeten Seri
Begawan University College statt. Eine weitere Aufgabe des Religionsministeriums ist
Missionsarbeit (dakwa), besonders in Bezug auf die einheimischen nicht-muslimischen
ethnischen Minoritäten. Abgesehen von der Verbreitung des offiziellen islamischen Weltbildes
gehört es auch zu den Aufgaben des Religionsministeriums, alle diesem zuwiderlaufende
sogenannte “deviante” religiöse Aktivitäten zu unterbinden. Zu diesen gehören insbesondere
schiitische und wahhabitische Strömungen, die es aber kaum im Lande gibt, sowie animistische Praktiken, die als dem Islam zuwiderlaufend angesehen werden. Die einzige offiziell
tolerierte islamische Bewegung ist die in den 1930er Jahren in Indien gegründete Tabligh
Jamaat, eine unpolitische weltweite Missionsbewegung, die in Brunei hauptsächlich Mitglieder
unter der Elite findet. Eine weitere Aufgabe des Religionsministeriums ist es, individuelle
Verhaltensweisen, die dem islamischen Recht widersprechen, wie Alkoholkonsum, Verletzung

des Fastengebots und illegitime sexuelle Beziehungen, zu verfolgen. Im Vergleich zu der
strengen Unterbindung von organisierten deviierenden Bewegungen ist die Verfolgung von
solchen

individuellen

Delikten

allerdings

nur

sehr

sporadisch

und

allgemein


mehr

symbolischer Natur. Schließlich ist die Verwaltung der mehr als einhundert Moscheen des
Landes Aufgabe des Religionsministeriums sowie die damit verbundene Sammlung und
Verteilung der Armensteuer (zakat) und die Organisation des Pilgertums (haj).
Unabhängig vom Religionsministerium und direkt dem Sultan unterstehend ist das Amt des
Muftis, der den Rang eines Ministers hat und der für die in Brunei geltende Auslegung des
islamischen Rechts zuständig ist, die sich von der konservativen Shafi Rechtsschule (madhab)
ableitet. Parallel zu Zivilgerichten gibt es einen Schari’a Gerichtshof, der für Familienrecht und
religiöse Delikte unter Muslimen verantwortlich ist. In den letzten Jahren sind außerdem neue
islamische Gesetze im Finanz- und Handelsrecht eingeführt worden, die das wachsende
islamische Bank- und Finanzwesen regulieren. Dieses soll den Weg in eine Zukunft ohne
Erdölexporte bereiten, in der das Land von seinem islamischen Ruf dadurch profitieren soll,

dass es sich zu einem internationalen Zentrum des islamischen Finanz- und Bankwesens entwickelt.
Der Verfassung zufolge ist der Islam die Staatsreligion, aber andere Religionen dürfen
praktiziert werden. Allerdings stehen sie ebenso wie muslimische religiöse Aktivitäten und
Organisationen unter strenger staatlicher Kontrolle. Während der Kolonialzeit zwischen 1906
und 1959 waren christliche Missionare unter der nicht-muslimischen Bevölkerung aktiv und
gründeten mehrere Kirchen und Missionschulen, die noch heute existieren. Missionsarbeit und

christlicher Religionsunterricht sind allerdings heute verboten und die Einfuhr von religiöser
Literatur wird weitgehend unterbunden. Abgesehen von den offiziell erlaubten Kirchen gibt es
inoffizielle christliche Religionsversammlungen, die aber weitgehend toleriert werden, solange
sie keine öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenken.
3. Bedeutsame Theologen und ihre Lehren
Brunei war nie ein Zentrum der islamischen Lehre, sondern mehr ein Überträger islamischer
Lehren aus anderen Teilen der malayischen Welt. Bei den in Brunei vorgefundenen religiösen
Manuskripten handelt es sich meistens um Kopien von bekannten Texten aus Aceh, Johor und
Malakka.
Das heutige offizielle Islamverständnis ist von der “Nationalphilosphie” der Malayisch
Islamischen Monarchie (Melayu Islam Beraja, im Allgemeinen als MIB abgekürzt) geprägt.
Diese Staatsideologie legitimiert die Monarchie, indem sie diese als ein vom Islam
vorgeschriebenes politisches System darstellt, in dem der Sultan der Pflicht unterliegt, eine
islamische Gesellschaftsordnung aufrecht zu erhalten, und umgekehrt die Loyalität der
Untertanen dem Sultan gegenüber als eine religiöse Pflicht dargestellt wird. Schlüsselfiguren
in der Entwicklung der MIB sind einerseits Religionsgelehrte, wie der Religionsminister und
Mufti, und anderereseits Sozialwissenschaftler, wie der Hofhistoriker Jamil Umar und der
Ethnologe Latif Ibrahim. Zusammen haben sie MIB zu einer Staatsideologie entwickelt, die
versucht,

ein

heutzutage

einzigartiges

und

in

vielerlei

Hinsicht

anachronistisches

Staatssystem mit Bezug auf die universalen Prinzipien einer Weltreligion zu legitimieren.

4. Literaturtitel
Juned Abdel Aziz, Islam in Brunei, Bandar Seri Begawan, 2008.
G. Braighlinn, Ideological Innovation under Monarchy: aspects of legitimation activity in
contemporary Brunei, Amsterdam 1992.
D. E. Brown, Brunei: the Structure and History of a Bornean Malay Sultanate, Bandar Seri
Begawan, 1970.
E. M. Kershaw, A study of Brunei Dusun Religion: Ethnic priesthood on a frontier of Islam,
Phillips, ME 2000.
G. Saunders, A History of Brunei, Kuala Lumpur 1994.

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