Hauptamtliche der zweiten Reihe

1.6 Hauptamtliche der zweiten Reihe

Die nach dem traditionellen Rekrutierungsmodus gewonnenen Hauptamtlichen, die über keine externen oder gewerkschaftlich vermittelten zusätzlichen Quali- fikationsabschlüsse und Ressourcen verfügen, bilden immer noch die Mehrheit der gewerkschaftlichen Repräsentanten in den von uns untersuchten Verwaltungs- stellen. Sie stützen ihre Position vor allem auf ein nicht unerhebliches soziales Kapital, das sie sich durch langjährige betriebliche Gewerkschaftstätigkeit und in die Gewerkschaft selbst hineinreichendes organisatorisches Engagement er- arbeitet haben. Darüber sind sie in aller Regel betrieblich gut verankert und pro- fitieren von dem ihnen entgegengebrachten Vertrauensvorschuss der Mitglieder in den betreuten Betrieben, deren kulturellen Hintergrund sie weitgehend teilen. Sie agieren überwiegend in den gewerblichen Bereichen und mit Blick auf die verbliebenen Facharbeiter in den mittlerweile modernisierten Erwerbsbereichen. Es handelt sich um eine in der IG-Metall immer noch relativ große Gruppe von Personen, für die der Schritt zum hauptamtlichen Gewerkschafter riesig und mit großen persönlichen Anstrengungen verbunden war:

„Ich wurde ja von der Verwaltungsstelle gerufen, als Hauptamtlicher anzu- fangen. Sie könnten sich vorstellen, dass ich die Seiten wechsele, den Blaumann ausziehe und mit Schlips und Kragen auf die andere Seite des Schreibtischs ziehe. Und da habe ich zuerst gesagt, nee. Spätere habe ich dann doch zugestimmt. Das war für mich ein Schritt in eine völlig andere Tätigkeit. Ich habe es mir dabei nicht leicht gemacht. Irgendwie habe ich es als Chance für mich begriffen etwas anderes zu tun, als weiterhin Schichten zu schieben und irgendwann mit 60 auszuscheiden und in Rente zu gehen. Rückblickend bedauere ich meinen Schritt nicht, obwohl ich mich an die neue Arbeit nur schwer gewöhnt habe. Der Nachteil meiner Arbeit in der Verwaltungsstelle ist der Stress, der manchmal über den Kopf wachsen kann. Manchmal überlege ich, ob ich das nicht ein bisschen leichter hätte haben können.“ (Hauptamtlicher)

Die Hauptamtlichen dieser Gruppe sind am stärksten von der Schwerkraft der gewerkschaftlichen Organisation betroffen, weil sie ihr im Rahmen einer durch- aus als sozialen Aufstieg zu verstehenden Karriere alles zu verdanken haben. Schwerkraft kann hier bedeuten, dass diese Repräsentanten sich die für ihre neue

Arbeit notwendigsten Qualifikationen und Kompetenzen erst mühsam – nicht selten durch learning by doing – aneignen mussten und darüber hinaus kaum über notwendig zusätzliche Energien verfügen, mittlerweile die auch für sie zur Routine geworden organisatorischen Vorgänge und Denkweisen (selbst-)kritisch zu reflektieren. Nicht vergessen werden darf, dass sie auch kaum über beruflichen Alternativen verfügen. Dazu die Aussage eines Hauptamtlichen aus einem Inter- viewprotokoll:

„Auf unsere Frage am Ende des Interviews, ob X. selbst noch eine Thema ansprechen möchte, nennt er die Arbeitsbelastung. Gerade seine Verwaltungsstelle würde im Vergleich eine Menge machen und brauche sich ›nicht zu verstecken‹. Er spricht hier die versteckte Arbeit in Form von Vor- und Nachbereitungen der verschiedenen regelmäßigen Versammlungen und Schulungen, die oftmals am Abend stattfinden würden, an. ›Da machen wir echt viel.‹ Manches von dem, was man sich vorgenommen habe, könne aber schließlich nicht umgesetzt werden. ›Deshalb wünscht man sich manchmal eine beruhigte Fahrweise, so mehr so die Kontinuität.‹ Zugenommen habe zum Beispiel die Belastung durch Tarifverhand- lungen, da diese nicht mehr wie früher ein Mal im Jahr stattfinden. Es gibt heute viele Haus- und Sondertarife. Die Arbeitsbelastung liege aber immer auch in der persönlichen Verantwortung, und ›manchmal muss man sich auch ›mal ein Stück zurücknehmen‹. Hier gebe es unterschiedliche Anschauungen in der Verwaltungs- stelle. Gerade in der Betriebsbetreuung sei es unerlässlich, die Notwendigkeit des Engagements zu beurteilen und zum Beispiel nicht bei jeder Sitzung des Betriebs- rates dabei zu sein, auch wenn der Betriebsrat das so erwarte.“ (Hauptamtlicher)

In der Regel ist es gerade diese Gruppe, die auf Grund ihrer auf soziales Kapital bei Mitgliedern aus der Facharbeiterschaft beschränkten Ressourcen die kulturelle Kluft zu den neuen Gruppen der hochqualifizierten Facharbeiter und Angestellten schwer überwinden kann. In Einzelfällen gelingt dies aber immer wieder jenen Vertretern, die ihre berufliche Sozialisierung abseits der traditionellen Industriearbeit erfahren haben, dabei verschiedene Formen der Erwerbsarbeit ken- nen gelernt haben und sich damit vom üblichen Karriereweg zur hauptamtlichen Gewerkschaftstätigkeit unterscheiden. Die wenigen weiblichen Hauptamtlichen sind Teil dieser Gruppe. Mit ihren mittlerweile immer häufiger nachgefragten modernen arbeitsorganisatorischen, sozialen und kommunikativen Kompetenzen findet sie Zugang zur Kultur und zu Problemen sozialer Milieus, die nicht mehr allein die traditionale Facharbeiterkultur repräsentieren. Dazu eine typische Aus- sage einer Hauptamtlichen aus einem Interviewprotokoll:

„Die Art von Außenpräsentation der IG Metall, wie sie von bestimmten Ge- werblichen ausgeht, schreckt nach Z. viele andere Beschäftigte in den Betrieben eher ab. Das gehe so weit, dass manchen Mitgliedern ihre Gewerkschaftsmit- gliedschaft vor ihren Kollegen peinlich sei. Es gebe aber auch Mitarbeiterzei- tungen, die auch bei Nicht-Mitgliedern anerkannt seien. Auf die Frage, was bei den Beschäftigten entscheidender wäre, die praktischen Vorteile einer Gewerk- schaftsmitgliedschaft durch den autoritären ›proletarischen‹ Habitus mancher Mitglieder, meint Z., dass beides mindestens gleich viel zähle, aber möglicher- weise die Abschreckung jedoch entscheidender sei. Die Eintritte würden sich aber häufen, wenn bedrohliche Umstrukturierungen vor der Tür stünden, wie z.B. die Ausgliederung von Betriebsteilen; was allerdings auch zu spät sei, da sich die Umstrukturierungen dann nicht mehr abwenden ließen.“