In der „Peripherie“

2.6 In der „Peripherie“

Als ›Peripherie‹ fassen wir in den untersuchten Verwaltungsstellen die abseits der städtischen Kerngebiete liegenden Betriebe in ländlichen Regionen. Sie stehen nicht immer im Zentrum der jeweiligen gewerkschaftlichen Aufmerksamkeit. Die Betriebsratsvorsitzenden dieser Unternehmen – wie schon bei den übrigen Gruppen der Betriebsräte handelt es sich hier trotz einiger weniger Ausnahmen um Männer –, zum Teil auch ihre Stellvertreter, unterscheiden sich mehr oder we- Als ›Peripherie‹ fassen wir in den untersuchten Verwaltungsstellen die abseits der städtischen Kerngebiete liegenden Betriebe in ländlichen Regionen. Sie stehen nicht immer im Zentrum der jeweiligen gewerkschaftlichen Aufmerksamkeit. Die Betriebsratsvorsitzenden dieser Unternehmen – wie schon bei den übrigen Gruppen der Betriebsräte handelt es sich hier trotz einiger weniger Ausnahmen um Männer –, zum Teil auch ihre Stellvertreter, unterscheiden sich mehr oder we-

Diese Betriebsräte sind mit einem Alter zwischen Mitte 40 und Mitte 50 etwas jünger als die bisher beschriebenen Gruppen. In ihrer sozialen Herkunft aus dem Facharbeitermilieu gleichen sie den meisten anderen IG Metall-Betriebsräten. Sie verfügen in aller Regel über eine Facharbeiterqualifikation. Einige wenige haben einen DDR-Hochschulabschluss, der jedoch in ihrer derzeitigen Beschäftigung keine volle Anerkennung gefunden zu haben scheint. Ihre Betriebsratstätigkeit haben die meisten von ihnen etwa Mitte der neunziger Jahre aufgenommen. Viele von ihnen sind schon über zehn Jahre freigestellte Betriebsräte und haben sich im Zuge ihrer Arbeit gewerkschaftspolitisch weitergebildet. Wie noch zu zeigen sein wird, repräsentieren sie Ressourcen bzw. vor allem soziales und politisches Kapital, die insbesondere in den ›Peripherien‹ wirksam sind, hingegen in den jeweiligen städtischen Zentrum von eher geringerer Bedeutung zu sein scheinen.

Einige von ihnen berichten, dass ihnen der Übergang in den Betriebsrat bzw. in die Freistellung schwer gefallen ist („das war eigentlich eine schwere Ent- scheidung“), weil sich damit zwar Chancen und ein persönliches Interesse, aber ebenso auch eine große Unsicherheit über das Kommende verbanden: „Was da passiert, das wusste ich erst hinterher“. In der anfänglichen Unsicherheit gegen- über den Aufgaben eines Betriebsrats zeigt sich eine Distanz zu den Routinen betrieblicher und gewerkschaftlicher Interessenvertretung. Sie berichten, dass die ehrenamtlichen Aufgaben in ihren Regionen zumeist auf wenigen Schultern la- sten. Nur selten wird darüber aber ein Wort verloren: „Manchmal ist das wirklich alles zu viel. Familie hat man ja noch, um die Ausbildung der Tochter muss man sich kümmern und dies und das. Aber es liegt auch viel an einem selber.“ Und ein anderer erwähnt beiläufig, dass mit dem Amt als Betriebsrat die Berufung in weitere Ehrenämter, zum Beispiel als Arbeitsrichter oder in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung, verbunden sind. Wenn sie sich einmal zur Ausübung einer Funktion bereit erklärt haben, scheint es für sie jedoch als selbstverständlich, mit vollem Einsatz dabei zu sein („das ist eine Frage des Verantwortungsbewusst- seins“). Die Betriebsratstätigkeit sehen sie aber nicht nur als Verpflichtung, son- dern auch als persönliche Bereicherung: „Ja, ich mache das gerne, also mit Leuten zusammen zu arbeiten, mit denen zu reden, mir macht das Spaß.“ Die Akteure dieser Gruppe verfügen über erhebliches soziales Kapital. In ihren Betrieben, ihrer Region bzw. in ihrem Ort und zum Teil in ihrer Branche scheinen sie sehr bekannt Einige von ihnen berichten, dass ihnen der Übergang in den Betriebsrat bzw. in die Freistellung schwer gefallen ist („das war eigentlich eine schwere Ent- scheidung“), weil sich damit zwar Chancen und ein persönliches Interesse, aber ebenso auch eine große Unsicherheit über das Kommende verbanden: „Was da passiert, das wusste ich erst hinterher“. In der anfänglichen Unsicherheit gegen- über den Aufgaben eines Betriebsrats zeigt sich eine Distanz zu den Routinen betrieblicher und gewerkschaftlicher Interessenvertretung. Sie berichten, dass die ehrenamtlichen Aufgaben in ihren Regionen zumeist auf wenigen Schultern la- sten. Nur selten wird darüber aber ein Wort verloren: „Manchmal ist das wirklich alles zu viel. Familie hat man ja noch, um die Ausbildung der Tochter muss man sich kümmern und dies und das. Aber es liegt auch viel an einem selber.“ Und ein anderer erwähnt beiläufig, dass mit dem Amt als Betriebsrat die Berufung in weitere Ehrenämter, zum Beispiel als Arbeitsrichter oder in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung, verbunden sind. Wenn sie sich einmal zur Ausübung einer Funktion bereit erklärt haben, scheint es für sie jedoch als selbstverständlich, mit vollem Einsatz dabei zu sein („das ist eine Frage des Verantwortungsbewusst- seins“). Die Betriebsratstätigkeit sehen sie aber nicht nur als Verpflichtung, son- dern auch als persönliche Bereicherung: „Ja, ich mache das gerne, also mit Leuten zusammen zu arbeiten, mit denen zu reden, mir macht das Spaß.“ Die Akteure dieser Gruppe verfügen über erhebliches soziales Kapital. In ihren Betrieben, ihrer Region bzw. in ihrem Ort und zum Teil in ihrer Branche scheinen sie sehr bekannt

Ein Teil der Gruppe verbindet betriebliches mit politischem Engagement. Sie üben kommunale Abgeordnetenmandate aus bzw. engagieren sich an der Parteiba- sis (SPD, Grüne, Wählergruppen). Ein SPD-Mitglied schildert sein politisches Verständnis, das für diese Gruppe typisch ist. Er bezeichnet sich als durchaus politisch interessiert, schränkt aber ein, dass er keine Kraft verschwenden möchte in Bereichen, in denen er von vornherein davon ausgehen müsse, dass nichts zu erreichen sei. Sein Engagement bezieht sich auf seinen Heimatort und vor allem auf seinen Betrieb. Statt „immer wiederkehrende politische Grundsatzdebatten“ zu führen, bevorzugt er es, „lieber ganz pragmatisch“ einzelnen Leuten vor Ort bzw. im Betrieb mit ihren „konkreten Problemen“ zu helfen. Denn er weiß, dass er auf dieser Ebene etwas bewegen kann und seine Kraft gut eingesetzt ist. Obwohl er mit der Bundespolitik seiner Partei unzufrieden ist („wenn es danach ginge, würde mich nichts in der Partei halten“), stellt er seine mittlerweile 20-jährige Mitgliedschaft bis heute nicht in Frage, weil er ein milieugeprägtes persönliches Verhältnis zu den Personen pflegt, die in seinem Ort für die Sozialdemokratie stehen: „Es gibt hier auf lokaler Ebene viele nette Sozialdemokraten, die sich sehr engagieren, eine Menge machen. Allein das ist auch ein Grund, warum ich nicht so einen Schritt gehe wie viele Gewerkschafter, die der SPD den Rücken zukehren.“ Über seine persönlichen Beziehungen zu den Akteuren der lokalen Politik bleibt somit seine Bindung an die Partei stabil. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die tradierte Konfliktlinie zwischen SPD- und CDU-Orientierung in ländlichen und kleinstädtischen Regionen noch eine größere Bedeutung für die informelle Gruppenbildung bzw. Vergemeinschaftung besitzt. Parteizugehörigkeit, politisches Engagement sowie auch Gewerkschaftszugehörigkeit fügen sich dort noch als konsistentes Muster sozialer Milieuzugehörigkeit zusammen.

So ist es auch zu verstehen, wenn sich diese Gruppe trotz ihres politischen Engagements deutlich von ideologisch überlagerten politischen Positionen und Grundsatzdiskussionen abgrenzt („Diskussionen sind wichtig, aber manchmal diskutieren wir in der IG Metall auch ein bisschen viel und überflüssig und wie- derholt“). Aus ihren über starke soziale Netzwerke relativ abgesicherten Positi- So ist es auch zu verstehen, wenn sich diese Gruppe trotz ihres politischen Engagements deutlich von ideologisch überlagerten politischen Positionen und Grundsatzdiskussionen abgrenzt („Diskussionen sind wichtig, aber manchmal diskutieren wir in der IG Metall auch ein bisschen viel und überflüssig und wie- derholt“). Aus ihren über starke soziale Netzwerke relativ abgesicherten Positi-

Ihr gewerkschaftspolitisches Engagement und dabei auch ihre Beziehungen zu den lokalen Verwaltungsstellen ist von einer stark betriebszentrierten Perspektive gekennzeichnet. Denn von ihrem Betrieb hängt für sie so gut wie alles ab. Im Unterschied zu den städtischen Zentren haben ihre Betriebe auf Grund mangeln- der Arbeitsplatzalternativen in den Regionen eine außergewöhnliche Bedeutung. Arbeitsplatzverlust ist gleichbedeutend mit dem Verlust der milieuspezifischen Integration, da eine neue Erwerbstätigkeit außerhalb der Region nur denkbar ist, wenn sie diese verlassen. In ihrer Betriebsratsarbeit verstehen sie sich deshalb auch als strukturpolitisch engagierte Lokalpolitiker. Weil sie die Möglichkeit sehen „etwas zu bewegen“, setzen sie sich mit ganzer Kraft ein: „Wenn man Betriebs- ratsvorsitzender ist, wie ich es bin, hängt man sich rein. Man muss die Leute auch mitziehen. Man muss dahinter stehen, das ist wichtig, mit dem Herzen dabei sein“. Dabei betonen sie die Bedeutung persönlicher Präsenz und direkter Kontakte zu den Beschäftigten: „Mit den Leuten reden vor allem, das ist das allerwichtigste. An die Maschine gehen: ›Haste ein Problem, Kumpel?‹ und so. Das ist das allerwich- tigste für mich. Mit den Leuten reden, manchmal auch über irgendwelchen Scheiß erzählen, na und?“ Gewerkschaftliche Überzeugungsarbeit geht hier augenschein- lich über rational gefärbte Argumentationskraft hinaus. Deren Wirkung scheint ohne den Aufbau persönlicher Vertrauensbeziehungen nicht vorstellbar zu sein.

Durchaus vorhandene Unterschiede in dieser Betriebsratsgruppe sind mit den jeweiligen Anforderungen der regionalen und betrieblichen Situation zu erklären. In der räumlichen Peripherie der ostdeutschen Verwaltungsstelle erscheinen die wenigen erhalten gebliebenen größeren Metallbetriebe beinahe als privilegierte „Insel der Glückseligkeit“, wo die Beschäftigten weit besser verdienen und ge- sichertere Arbeitsplätze haben, als das sonst vor Ort der Fall ist. Der Betriebs- ratsvorsitzende und sein Stellvertreter eines solchen Unternehmens, in dem wir Gespräche geführt haben, argumentieren ebenfalls mit dieser Insel-Logik. Zum einen werben sie für die IG Metall-Mitgliedschaft mit dem Hinweis, dass die IG Metall sich bei vergangenen Insolvenzen der Firma erfolgreich für den Erhalt der Arbeitsplätze eingesetzt hat, dass dafür aber auch eine gut organisierte Beleg- schaft Voraussetzung war. Zum anderen betonen sie im Gespräch, gezielt darauf hinzuarbeiten, dass sich die Belegschaft als „Team“ versteht, das „für einander einsteht“, um die nötige Stärke zu pflegen, die vergleichsweise günstigen Beschäf- tigungsbedingungen auch zu erhalten. Wichtig für das betriebliche Gleichgewicht ist ihnen auch ein verlässliches Verhältnis zur betrieblichen Geschäftsführung. Sie Durchaus vorhandene Unterschiede in dieser Betriebsratsgruppe sind mit den jeweiligen Anforderungen der regionalen und betrieblichen Situation zu erklären. In der räumlichen Peripherie der ostdeutschen Verwaltungsstelle erscheinen die wenigen erhalten gebliebenen größeren Metallbetriebe beinahe als privilegierte „Insel der Glückseligkeit“, wo die Beschäftigten weit besser verdienen und ge- sichertere Arbeitsplätze haben, als das sonst vor Ort der Fall ist. Der Betriebs- ratsvorsitzende und sein Stellvertreter eines solchen Unternehmens, in dem wir Gespräche geführt haben, argumentieren ebenfalls mit dieser Insel-Logik. Zum einen werben sie für die IG Metall-Mitgliedschaft mit dem Hinweis, dass die IG Metall sich bei vergangenen Insolvenzen der Firma erfolgreich für den Erhalt der Arbeitsplätze eingesetzt hat, dass dafür aber auch eine gut organisierte Beleg- schaft Voraussetzung war. Zum anderen betonen sie im Gespräch, gezielt darauf hinzuarbeiten, dass sich die Belegschaft als „Team“ versteht, das „für einander einsteht“, um die nötige Stärke zu pflegen, die vergleichsweise günstigen Beschäf- tigungsbedingungen auch zu erhalten. Wichtig für das betriebliche Gleichgewicht ist ihnen auch ein verlässliches Verhältnis zur betrieblichen Geschäftsführung. Sie

Ein anderer ostdeutscher Betriebsratsvorsitzender nimmt die davon abwei- chende Perspektive des Gewerkschafters in einem Kleinbetrieb in der Peripherie ein. Zwar war er bei der Mitgliederwerbung über die Jahre sehr erfolgreich, fühlt sich als nicht freigestellter Betriebsrat nun aber überfordert. Von den Hauptamt- lichen erwartetet er mehr direkten Kontakt: „Die ganzen Probleme... Die Haupt- amtlichen kommen viel zu selten in den Betrieb und reden dann mit den Leuten. Das fehlt mir irgendwo. Die verlassen sich zu sehr auf die Betriebsräte und sagen: ›Macht das mal, ihr seid ja Betriebsräte‹“. Dass er sich schlechter betreut fühlt als andere Betriebsräte der Verwaltungsstelle, hängt nicht nur mit der räumlichen Entfernung seines Betriebs zum städtischen Zentrum zusammen, sondern auch damit, dass er in dem kleinen Betrieb die Anforderungen der Betriebsratsarbeit allein schultern muss. Er befürchtet, dass seine begrenzten Ressourcen dafür nicht ausreichen. Vor diesem Hintergrund wirft er den Hauptamtlichen vor, zu weit von der „Basis“ entfernt zu sein.

Insgesamt zeigt sich bei den Betriebsräten der Peripherie trotz ihrer relativ stark betriebsbezogenen Logik ein enges, jedoch auch leicht ambivalentes Verhält- nis zur von den Hauptamtlichen repräsentierten Organisation der IG Metall. Zum einen sind auch diese Betriebsräte überzeugte Gewerkschafter. Wenn es besondere Probleme gibt, können sie sich auf die Unterstützung der Verwaltungsstelle ver- lassen: „Die Hilfe, die wir brauchen, die kriegen wir.“ Gleichzeitig lassen sie eine Insgesamt zeigt sich bei den Betriebsräten der Peripherie trotz ihrer relativ stark betriebsbezogenen Logik ein enges, jedoch auch leicht ambivalentes Verhält- nis zur von den Hauptamtlichen repräsentierten Organisation der IG Metall. Zum einen sind auch diese Betriebsräte überzeugte Gewerkschafter. Wenn es besondere Probleme gibt, können sie sich auf die Unterstützung der Verwaltungsstelle ver- lassen: „Die Hilfe, die wir brauchen, die kriegen wir.“ Gleichzeitig lassen sie eine