Wirtschaftliche Wechsellagen Regionale Industrialisierung

industrieller und anderer Unternehmungen mit einem hohen Kapitalbedarf. In der Folge kam es, anderes als etwa in Großbritannien, zu einer Arbeitsteilung. Die Ausgabe von Banknoten blieb in den Händen halb-staatlicher Einrichtungen. Dabei spielte bald die Preußische Bank eine zentrale Rolle. Dagegen konzentrierten sich Privat- und Aktienbanken auf die Gründungs- und Emissionsaktivitäten industrieller Aktiengesellschaften.

D. Wirtschaftliche Wechsellagen

Bezogen auf die Wirtschaft in diesem Zeitraum insgesamt waren die Wachstumsraten nicht überdurchschnittlich. Die durchschnittliche Steigerung des Nettosozialprodukts pro Jahr lag zwischen 1850 und 1857 bei 2,36 und stieg in der Zeit von 1863 bis 1871 auf etwa 3,31 an. Ein anderes Bild ergibt sich bei getrennter Betrachtung der verschiedenen Wirtschaftssektoren. Das mit Abstand größte Wachstum wies der industrielle Bereich auf. Diese Entwicklung war das eigentlich Neue. Innerhalb der Industrie dominierte zunächst die Konsumgüterproduktion insbesondere die Textilindustrie. Die Konjunkturentwicklung im industriellen Bereich war damit noch stark von der Reallohnentwicklung abhängig. Dies änderte sich nach 1840 deutlich, als Eisenbahnen und Schwerindustrie zu industriellen Führungssektoren aufstiegen. Die industrielle konjunkturelle Entwicklung folgte nunmehr primär den eigenen Gewinnerwartungen. Allerdings war der sekundäre Sektor noch nicht stark genug, um die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu dominieren. Erst gegen Ende der industriellen Revolution um 1870 herum übernahm er die Führungsrolle eindeutig. Bis dahin wies die Entwicklung der Landwirtschaft, also der Hauptbestandteil des primären Sektors, noch eine eigene Dynamik auf. Das ist auch einer der Gründe, warum gesamtwirtschaftliche Konjunkturzyklen im heutigen Sinn erst seit dem Beginn des Kaiserreichs auftraten. Bis dahin mischten sich in den „wirtschaftlichen Wechsellagen“ ältere agrarisch geprägte Auf- und Abschwünge mit industriellen Einflüssen. Die agrarischen Wirtschaftskrisen älteren Typs hingen in erster Linie mit Ernteausfällen, also natürlichen Einflüssen, zusammen. Gute Ernten machten die Lebensmittel billiger, ein hoher Preisverfall allerdings führte zu Einkommensverlusten der Landwirten mit wiederum erheblichen Auswirkungen auf die Nachfrage nach gewerblichen Produkten. Umgekehrt führten schlechte Ernten zu einem extremen Ansteigen der Lebensmittelpreise. Agrarkrisen dieser Art gab es 180506, 181617, 182930 und die schlimmste war die von 184647. Der industrielle Typ der Konjunktur lässt sich in Deutschland erstmals in der Mitte der 1840er Jahre nachweisen. In den Jahren 1841 bis 1845 kam es zu einem regelrechten Investitionsboom bei den Eisenbahnen, der innerhalb kürzester Zeit in bislang unbekannter Höhe Kapital anzog, dann aber ebenso rasch wieder abbrach. Das Nachlassen dieses Aufschwungs hing mit der Agrarkrise von 1847 zusammen und verstärkte diese zusätzlich. Zu Lebensmittelteuerung und Hungerkrise kamen Arbeitslosigkeit und Verdienstausfall. Dies hat die vorrevolutionäre Entwicklung auch in den unteren Schichten zusätzlich verstärkt. Das Konjunkturtief endete erst Ende 1849 oder Anfang 1850. [24] Für eine grundsätzliche Wende spricht nach Ansicht von Historikern, dass die Ernteausfälle etwa in den frühen 1850er Jahren sich nur noch regional auswirkten, da insbesondere der Transport per Eisenbahn für einen innereuropäischen Ausgleich sorgte. In diese Zeit fielen Investitionen in alle gewerblichen Bereiche, vor allem in die Eisenbahn. Der Aufstieg der Industrie wurde von 1857 bis 1859 durch einen massiven Konjunkturabschwung, der vielfach auch als „erste Weltwirtschaftskrise“ Hans Rosenberg bezeichnet wurde, unterbrochen. Im Kern handelte es sich dabei um eine Handels-, Spekulations- und Bankenkrise, ausgehend vor allem von Hamburg. Zur Krise kam es, als die mit Bankwechseln finanzierten Handels- und Rüstungsgeschäfte zwischen Hamburg, Amerika, England und Skandinavien platzten. Der Ursprung lag dabei in den USA, wo der Zusammenbruch einer Bank eine Art Kettenreaktion und den Zusammenbruch zahlreicher weiterer Kreditinstitute auslöste. Allerdings gab es auch Faktoren im industriellen Bereich. So hielten vielerorts die Produktionskapazitäten mit der Nachfrage nicht Schritt. Die Krise war allerdings wesentlich kürzer und die Auswirkungen weniger gravierend als die Gründerkrise nach 1873. Im Vergleich zur ersten Hälfte der 1850er Jahre blieb die Konjunktur in der ersten Hälfte der 1860er Jahre vergleichsweise schwach. Dies lag vor allem an äußeren Einflüssen wie dem amerikanischen Bürgerkrieg. Durch das Ausbleiben von Baumwolllieferungen aus dem Süden litt vor allem die Textilindustrie. Im Übrigen hielten sich die Unternehmen nach den Erfahrungen der Jahre 1857-59 mit Investitionen zurück. Nach der Mitte der 1860er Jahre erfolgte erneut ein beachtlicher wirtschaftlicher Aufschwung, der in den „Gründerboom“ überging. Dieser wurde nicht mehr allein von der Schwerindustrie getragen, sondern fast ebenso deutlich wuchsen die Textilindustrie und die Landwirtschaft. Nur kurz gebremst durch den Krieg von 187071 setzte sich das Wachstum bis zum Beginn der Gründerkrise 1873 fort. Waren die wirtschaftlichen Wechsellagen noch in der Mitte des Jahrhunderts auch agrarisch bestimmt, dominierte nunmehr eindeutig die Industrie.

E. Wandel der Gesellschaft